Weniger ist oft mehr

Wisst ihr, was ich nicht verstehe? Den Trend, den Hund zu überfordern und dabei selbst gut dastehen zu wollen. Erinnert ihr euch an die sprichwörtlichen "Eislauf-Mütter", die ihre Kinder pushen und ihnen die Kindheit rauben, um einen eigenen Traum auszuleben? So kommen mir diese über-ehrgeizigen Hundesportler nämlich vor!
Ich kann das ewige Gerede vom Bespaßen und Auslasten der Hunde nicht mehr hören. Jeder hat einen vollen Terminplan für seinen Hund, fast so wie für sein Kind. Das scheint eine Fehlinformation dieser Zeit zu sein! Wo das Kind zum Gitarre-, Saxophon, Reit- und Fechtunterricht muss, da muss auch der Hund zum Dogdance, Trickdog, Longieren, zur Obedience und zum Mantrailen. Jeden Tag etwas anderes. Habt ihr euch schon einmal darüber Gedanken gemacht, wie der Hund seiner Natur gemäß gebaut ist? 
Der erwachsene Hund - das sagen Wissenschaftler beständig in den Seminaren, die wir oft und gerne besuchen - ruht 17 bis 20 Stunden am Tag! Der junge Hund und der Senior sogar bis 22 Stunden am Tag: Konkret ist die Rede von 75% Schlafen, von 10% wachsamem Liegen und von 25% sozialer Gemeinsamkeit wie Körperpflege, Kontaktliegen und sozialem Spiel. Was bleibt da über? Jedenfalls ist der Hund keineswegs dazu gedacht, täglich den Bespaßungsplan seiner ehrgeizigen Besitzer abzuspulen. Warum? Weil er ihn gar nicht braucht!
Wer seinen Hund überfordert, bekommt, was er verdient: Ein frustriertes Nervenbündel, das seinen Schatten jagt oder sich die Pfoten wundleckt. Ein ständig fiepsendes, aufgeregtes Tier mit Dauer-Durchfall ... wollen wir das? Warum bewegen wir unseren Hund nicht im Mittelmaß? Ein bis zweimal in der Woche Hundeschule reicht völlig aus! Verhaltensforscher Prof. Udo Gansloßer, den ich über die Maßen schätze, hat es so ausgedrückt: "Am Arbeitszeitkonto des Hundes ist das Strolchen und Stöbern die wesentlich naturnähere Form". Das Leistungshormon Dopamin, das bei Überbelastung zuhauf ausgeschüttet werde, habe zwei Wirkrichtungen - die Begeisterung über die schon vollführte Handlung, aber genauso das vorausschauende Entgegensehen auf die kommende Handlung. 
Also um zu vermeiden, dass wir durch Ballspielen oder andere hochputschende Aktionen einen Hund bekommen, der sich überhaupt nicht mehr vernünftig beruhigen kann, sollten wir uns Gedanken darüber machen, was der Hund denn eigentlich braucht und nicht, wie wir gut dastehen. Kein vernünftiger Trainer, der so ein vollgepacktes Wochenpensum eurer Hunde kennt, wird euch nicht raten, das Level runterzuschrauben. Gansloßer geht sogar noch weiter: "Es macht keinen Sinn, einen Hund vor 12 Monaten zu trainieren!" Wer bitteschön beherzigt das? Der Professor spricht immer wieder davon, dass ein Hund nicht mit drei Monaten zum Mantrailen geführt werden muss und mit sieben Monaten eine OB2-fertige Unterordnung zeigen muss, er spricht vielmehr von einem "angepassten Reizangebot und bewältigbaren Erfahrungen", die speziell der junge Hund erst einmal verarbeiten muss. 
Natürlich muss man sich auch bei der Anschaffung des Hundes bereits bewusst sein, was man sich ins Haus holt - und der Griff zum Top-Sportler aus Leistungslinien ist in den meisten Fällen die falsche Entscheidung. Dann haben wir einen Hund, der sein genetisches Programm eingespeichert hat, bieten ihm immer mehr an, aber auch der Hund bietet seinerseits immer mehr an und fertig ist der Teufelskreis. 
Statt dem übersteigerten Sportangebot sollte vorrangig einmal die Sozialappetenz des Hundes befriedigt werden, sonst käme es zu Stereotypien und Zwangshandlungen. Vor allem, da Rassen wie britische Hütehunde, belgische Schäferhunde etc. vermehrt auf der Suchtschiene angesiedelt seien, so der Wissenschaftler. Halten wir also den sprichwörtlichen Ball flach, wenn es um das Bespaßungsangebot unserer Hunde geht - weniger ist oft mehr!

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